1886.
1.
Ein Lämmlein geht und trägt die schuld der welt und ihrer kinder; es geht und büsset mit gedult die sünden aller sünder; es geht dahin, wird matt und krank, ergibt sich auf die würge-bank, verzeiht sich aller freuden; es nimt an sich schmach, hohn und spott, angst, wunden, striemen, creuz und tod; und spricht: Ich wills gern leiden.
2.
Das Lämmlein ist der grosse Gott, der Schöpfer unsrer seelen; den hat sein Vater in der noth uns nicht gewolt verhehlen: Geh hin, mein kind! und nim das amt, die sünder, die du selbst verdamt zur straff der zornes-ruthen, zur straff so schwer, zum zorn so groß, in dein'r person zu machen los, durch sterben und durch bluten.
3.
Ja Vater, ja von herzens-grund, das ist mein wohl-behagen; mein wollen hänge an deinem mund, mein wollen ist dein sagen. O wunder-lieb! o liebes-macht! du kanst, was nie kein mensch gedacht, Gott seinen sohn abnöthen. O treue liebe! du bist stark; du sendest den ins grab und sark, der uns hat sollen tödten.
4.
Du marterst ihn am creuzes-stamm mit nägeln und mit spiessen; du schlachtest ihn als wie ein Lamm; machst herz und adern fliessen, das herze mit der seufzer kraft, die adern mit dem edlen [1805] saft des purpur-rothen blutes. O süsses Lamm! was soll ich dir erweisen dafür, daß du mir erzeigest so viel gutes.
5.
Mein lebetage will ich dich aus meinem sinn nicht lassen; dich will ich stets, gleichwie du mich, mit liebes-armen fassen. Du solt seyn meines herzens licht; und wenn mein herz bricht, wie man spricht, solt du mein herze bleiben. Ich will mich dir, mein haupt und ruhm, zu deinem ewgen eigenthum ergeben und verschreiben.
6.
Ich will von deiner lieblichkeit bey nacht und tage sagen, bey aller unvermöglichkeit mit lust ins dienen wagen. Mein bach des lebens soll sich dir und deinem namen für und für in dankbarkeit ergiessen: und was du mir zu gut gethan, das will ich stets, so tieff ich kan, in mein gedächtniß schliessen.
7.
Das soll und will ich mir zu nutz zu allen zeiten machen: im streite soll es seyn mein schutz, in traurigkeit mein lachen, in frölichkeit mein säitenspiel; und wenn mir nichts mehr schmekken will, soll mich dis Manna speisen; im durst solls seyn mein wasser- quell; in einsamkeit mein sprachgesell, zu haus und auch auf reisen.
8.
Was schadet mir des todes gift? dein blut das ist mein leben; wenn mich der sonnen hitze trifft, so kan mirs schatten geben; setzt mir ein seelen-schmerze zu, so find ich bey dir meine ruh, als auf dem bett ein kranker; und wenn verfolgungs-ungestüm mein schifflein treibet um und üm, so bist du doch mein anker.
9.
Und tret ich endlich gutes muths in deine hochzeitzimmer, so sey der purpur deines bluts meins ehren-rokkes schimmer; es sey der hauptschmuk meiner cron, mit welcher ich will auf den thron des Gotts der kirche steigen. Dann wird die mutter, die ich sog, und die mich für dich auferzog, die braut dem bräutgam zeigen.