[332] 117. Auf Herrn Heinrich des Neun und Zwanzigsten 34sten Geburts-Tag

1733.


Mein Bruder! könt ich wol an diesem Tage schweigen,
So sehr mein Dichten sonst bisher geruhet hat?
Hie hat kein Stille-seyn, hie hat kein Schweigen Statt;
Vor meinem Könige will ich mich sachte neigen.
Denn Worte machen auch die Sache da nicht aus;
Hier rede meine That, so wird ein Dank-Lied draus.
Allein erblikke ich der Menschen Trauer-Hauffen,
Die von der Finsternis so hart geblendet sind,
Daß keins an Christi Kraft was Wesentliches findt,
Die an den Fels des Heils gewohnt sind anzulauffen;
So wird in meiner Brust ein Jammer-Ton gespürt.
Was! denk ich, hat der Herr die Leute nie gerührt:
Zwey-dreymal und noch mehr, allein, der Hindernisse,
Ist eine solche Zahl, die nicht zu fassen ist.
Mein Heiland, wärst Du nicht so ritterlich gerüst!
Kein Wunder, daß die Welt Dich völlig niederrisse.
Vor diesem dachte man noch auf Entschuldigung;
Itzt rufst Du, niemand kommt, und damit ists genung.
Gewiß, die Zeit ist da, die unbegreiflich ist,
Man hat sich ein Gespenst von Christenthum gestaltet,
Das der Gerechtigkeit und Heilgung Platz verwaltet,
Und wer darauf nicht bleibt, was er im Zeugnis liest,
Im Zeugnis, das uns auch vor Satanas verthädigt,
Der wird an Haupt und Herz aufs tödlichste beschädigt.
Wir haben uns, Gott lob! zwölf Jahr daher gekant,
Wir wissen, was der Herr für Züge an uns bringet,
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Und wie Er nach und nach zu Seinen Füssen zwinget,
Was Ihm nicht eben ist, und hat die Oberhand.
Dein Herrenhutisches bewährtes Pilger-Leben
Kan uns von deinem Sinn erst rechte Nachricht geben.
Ein Volk, das an der Stirn und Brust gezeichne geht,
Das seines Tauf-Bunds Kraft nicht gern verrauchen lässet,
Dem andrer Seelen Noth manch Seufzen ausgepresset,
Ein Volk, das nach dem Wink der Liebe geht und steht,
Sonst abgeschieden lebt, bezeuget offenbar,
Wie dein Zugegenseyn ihm recht erbaulich war.
So eile dann dahin, wo dich dein Herr gesetzt,
Geh, von dem Volk des Herrn viel hundertmal gesegnet,
Getrost, wenn dir hinfort zuweilen was begegnet,
Das unter Christi Schutz die Leidenden ergötzt,
Wenn du dich vor der Welt und Eitelkeit verriegelst,
Und die Geduld am Reich mit deiner Treu versiegelst.
Natur und Gnade hat uns vielfach angeschnürt;
Und wär ein Menschen-Kind noch nach dem Fleisch zu kennen,
So müßt ich dich gewiß allein dazu ernennen:
Denn eines hat bey uns das andre eingeführt.
Ich kan mich unsers Bands von aussen nicht erinnern,
Es fällt mir alsobald sehr vieles ein vom Innern.
Der Herr, der uns gesetzt, daß wir uns nahe seyn,
Der spreche über uns aus den Gemeinschafts-Segen:
Und will sich eine Kraft der Nacht dazwischen legen,
So wolle uns davon Sein Gnaden-Strahl befreyn.
Ich will, solang ich bin, dich und dein Amts-Geschäfte
Mit brüderlicher Treu bedienen. Herr, gib Kräfte.
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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 117. Auf Herrn Heinrich des Neun und Zwanzigsten 34sten Geburts-Tag. 117. Auf Herrn Heinrich des Neun und Zwanzigsten 34sten Geburts-Tag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B68D-B