67. Auf Herrn Johann Andreas Rothens 40sten Jahrs-Tag

1728.


Der Du der Herzen König bist,
Und aller Kräfte jener Welten,
Dem unser Herz gereget ist;
Laß seine Regung vor Dir gelten:
Dir opfert auf der Herrenhut
Ein Hauffe Deiner Unterthanen
Den zehnten Theil von seinem Gut,
Und die vom Feind erkämpfte Fahnen.
Uns ist zwar wohl bekant,
Wie dis Geschenk bewandt:
Du pflegst nichts halbes anzunehmen.
Bis daß wir alle nun
Die theure Wahrheit thun,
1 Joh. 1, 6.
Muß sich der treue Theil noch schämen.
Doch werde Dir ein Lob daraus,
Was sich an diesem Tage findet.
Es lobet Dich dis Waysen-Haus,
Am zwölften May auf Dich gegründet;
Der grosse Lehrer, 1 welchen Du
Schon vierzig Jahre lassen grünen,
Und bis daher in guter Ruh
Dein Evangelium bedienen;
Die fünfe, die Du Dir
Zu einer Zions-Zier
Nun vor vier Jahren hergeleitet,
Für manche Nation,
Ja in den Banden schon,
Zum Theil gebraucht, theils zubereitet.
[186]
Das Bertholdsdorfsche Ober-Theil
Ward auch den Tag mit uns verknüpfet.
Doch diß ist das geringste Heil,
Darüber unser Herze hüpfet.
Die allergrößte Gnade war
(Die Du der Herrenhut erzeiget,)
Daß eben heute gleich ein Jahr
Sich alles unter Dich gebeuget,
Da man das freye Volk
Von dieser Zeugen-Wolk
Bemühet war in Eins zu fassen,
Und zu der Einigkeit,
Die Dein Befehl gebeut,
Sich jedermann bereden lassen.
Gewiß, wer um die Kirche weiß,
Und ums Geheimnis Deiner Heerde,
Der kennt auch Deiner Knechte Schweiß,
Und was dabey erlitten werde:
Der weiß zu allem Uberfluß
Wovon wir hier nur wenig stammlen,
Was einer da erfahren muß,
Wo sich viel Kinder Gottes samlen.
Und wer das Lied vernimt,
Das Paulus angestimmt:
Es müssen sich auch Rotten finden;
Der siehet einen Plan
Halb für ein Wunder an,
Wo sich die Brüder alle gründen.
Die Welt, die noch im Argen liegt
Und in der Tieffe des Verderbens,
Wird in dem Todes-Schlaf gewiegt:
Da braucht es keines neuen Sterbens.
Röm. 7, 10.
Allein, sobald die Stunde blikt,
Daß Jesu Wort in einer Kürze,
(Wies Luther ehmahls ausgedrükt,)
[187]
Den Grund des Herzens überstürze,
Wenns alle Aeste bricht,
Durch Beet und Furchen sticht,
Um sich den Akker aufzureissen,
Und bis aufs Leben trift:
Da braust der alte Gift,
Und alles hebet an zu kreissen.
Der Hirte, deß die Schafe sind,
Der will sie auf die Achseln nehmen:
Doch, daß sich da kein Zwang befindt,
Es muß sich alles selbst bequemen.
Auch hat der Seelen-Feind noch Macht
Die Ungegründten zu verwirren:
Da werden Meynungen gebracht,
Daran sich theure Seelen irren.
Hier spricht ein treuer Knecht:
Mit Beten ringst du recht,
Der Heiland muß sich dein erbarmen.
Dort heißts: Beweise dich.
Die Seele mühet sich,
Hos. 13, 5.
Und rükt sich aus den Gnaden-Armen.
Damit ist Christi Schaar gezweyt:
Ein jedes Theil will Jesum haben.
Der spricht: Er ist Gerechtigkeit,
Ich werde mich zu Tode traben,
Wenn ich mir selber helfen will,
Er muß mir erst die Kräfte geben,
Und eh' ich Sein Gebot erfüll,
Muß ich vor allen Dingen leben.
Da spricht der andre nun:
Ich will das Gute thun;
So wird Er mir den Lohn nicht rauben.
Die Welt hat keinen Streit;
Denn sie ist gleich so weit
Von guten Werken, als vom Glauben.
[188]
Den Schafen, die des Hirten Hand
Selbst auf die Weide hingeführet,
Ist sie gesund und wohl bekant:
Die andren werden matt gespüret.
Sie merken, daß es so nicht geht,
Der Herr muß ihnen Weisheit werden.
Wo etwan ein Erkentnis steht
Vom neuen Himmel oder Erden,
Da greiffen sie bald zu,
Da suchen sie sich Ruh;
Ihr Anfang ist der andren Ende.
Da lauffen sie sich tumm,
Und kehren doch wol um
In ihres Hirten treue Hände.
Inzwischen hat die Welt gelacht,
Die uns den Holz-Weg lauffen sehen.
Die Seelen, die es recht gemacht,
Sind da, die Irrenden zu schmähen;
Daß einer, der herum geirrt,
Und will sich nun zu rechte fragen,
Von einem Theil entblösset wird,
Vom andern aber wund geschlagen.
Darüber dann entbrennt,
Wer Christi Treue kennt,
Und muß auf beiden Seiten rechten.
Was denkt ein Fremder dann,
Der das nicht fassen kan,
Von Jesu Reich und Seinen Knechten?
Und, Jesu! wer erzittert nicht
Vor einem solchen Schwarm der Secten,
Die alle, so sie angericht,
Auf einer Streu von Wahrheit hekten.
Da jede gute Seelen hat,
Die ohne ihren Vorsatz schwärmen.
Wer wolte sich um Deine Stadt
[189]
Nicht immer schon zum voraus härmen.
Spricht Luther: Glaube du,
So fährt der Pöbel zu,
Und glaubts, und bleibt in seinen Sünden.
Wer weiß, wenns Spinnen trift,
Ob sie nicht eben Gift
In diesem unserm Honig finden.
Inzwischen sey gebenedeyt,
Anbetungs-würdiger Gebieter,
Daß Du uns bis auf diese Zeit,
Die reine Quelle Deiner Güter,
Die lautre Gnaden-Botschaft giebst,
Und Ernst zur Heiligung erwekkest,
Auch unsre kleine Leuchte liebst,
Und unter keinen Scheffel stekkest,
Noch von der Stätte rükst,
Vielmehr auf alle blikst,
Die eigentlich ins Haus gehören;
Ja, wie Du immer pflegst,
Wol andre mit erregst,
Daß sie sich nach dem Lichte kehren.
Hier legt sich Deine Herrenhut,
Die Bertholdsdorfische Gemeine,
Und was auf gleichem Grunde ruht
Von Apostolischem Gesteine,
Wo Jesus Christus Ekstein ist,
Hier legt sie sich zu Deinen Füssen,
Und weil Du unser Alles bist,
So wirst Du uns vollenden müssen.
Auch werd' insonderheit
Zu dieser Abend-Zeit
Der Deinen Herzens-Wunsch erhöret:
Daß Herrnhut nicht mehr sey
Wenns Glauben ohne Treu,
Und vor dem Gläuben, Lieben lehret.

Fußnoten

1 Johann Andreas Rothe, Pfarrer zu Bertholdsdorf, der an geistlicher Beredtsamkeit wenig seinesgleichen hat.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 67. Auf Herrn Johann Andreas Rothens 40sten Jahrs-Tag. 67. Auf Herrn Johann Andreas Rothens 40sten Jahrs-Tag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BB8A-7