497. Geister-Gottesdienst.

1.

Eine fromme Frau, die in der Nähe der Kirche wohnte, wurde einst des Nachts durch den aus der Kirche herüberschallenden Gesang geweckt. In der Meinung, es sei der Morgengottesdienst, steht sie eilig auf, zieht sich an, wirft den Mantel um und geht schnell in die Kirche, deren Fenster sie erleuchtet sieht. Sie setzt sich auf ihren Platz, schlägt ihr Gesangbuch auf und singt mit. Da wird ihre Schulter berührt und Jemand flüstert ihr zu ›Nawersch, nu is't Tit, nu ga na Hus.‹ Sie wendet sich um und sieht eine schon vor Jahren verstorbene Nachbarin neben sich. Wie sie weiter um sich sieht, erblickt sie lauter Gesichter von Verstorbenen. Da eilt sie aus der Kirche heraus, und wie sie die Thür hinter sich zumacht, ist der letzte Vers des Liedes zu Ende gesungen, die Thür fährt mit Krachen ins Schloß, so daß der Zipfel ihres Mantels noch eingeklemmt wird. Sie reißt sich los; da schlägt es Eins auf dem Kirchthurm, in der Kirche ist alles Licht verschwunden.


Erzählt von Küster Hackbusch in Röbel; mitgetheilt von Primaner Pechel aus Röbel. Von der St. Nikolai-Kirche in Röbel erzählt bei Niederh. 3, 137 ff.

2.

In der Mitternachtsstunde vor dem ersten Weihnachtsfeiertage halten in Hagenow die Geister Gottesdienst in der Kirche. Es ist in Hagenow Sitte, daß an diesem Tage um 5 Uhr Morgens ein Gottesdienst gehalten wird. Einst geht eine Frau, in der Meinung, es sei schon 5 Uhr, um Mitternacht in die Kirche, deren Fenster sie erleuchtet sieht. Sie erblickt theils ihr fremde Gestalten in alterthümlicher Tracht, theils die Züge von verstorbenen Bekannten. Eine solche flüstert ihr zu, ein Vaterunser zu beten und rasch aus der [363] Kirche zu eilen, ohne sich umzusehen. Das thut sie auch, wirft aber noch einen Blick im Hinausgehen zurück. Da fällt die Thür zu und ein Zipfel des Kleides wird eingeklemmt. Die Frau ist nach drei Tagen gestorben.


Fräulein A. Krüger. Dieselbe Erzählung von der Kirche in Dänschenburg bei Ribnitz berichtet durch einen Seminaristen in Neukloster.

3.

Auch aus Wustrow bei Wesenberg wird von nächtlichem Gottesdienst in der Kirche erzählt, zu dem die Frau eines Bauern durch Glockenläuten geweckt wird. Doch wird nicht angegeben, daß die dort Versammelten Verstorbene waren.


W. Heyse. Vgl. die folgende Nr.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 497. Geister-Gottesdienst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-D2F4-3