476. Teterower Geschichtchen.

1. Wie die Teterower ihren Stadtbollen auf die Weide brachten.

Weil immer so prächtiges Gras auf dem einen alten Stadtthore wuchs, das stets nutzlos umkommen mußte, beschloß die [347] Bürgerschaft, ihren Bollen dahinauf zu bringen, damit er das schöne Futter abweide. Nachdem man dem Thiere ein langes, starkes Tau um den Hals geschlungen, erstiegen einige der klugen Leute mit dem andern Tau-Ende das hohe Thor und zogen nun aus Leibeskräften den Bollen nach oben. Das arme Geschöpf zappelte erst gewaltig, als man ihm also seine Kehle zuschnürte und streckte im Todeskampfe seine Zunge weit aus. Als dies die Umstehenden sahen, riefen sie ›Kikt, wo hei all na dat schöne Gras lickmünnt.‹ Endlich oben angelangt, war der Bolle zum Erstaunen der guten Leutchen bereits crepirt.

2. Wie die Teterower ihren Landesvater erfrischten.

Einst als der Landesherr durch Teterow reisen wollte, hatte er sich dort zu seiner Ankunft ein kleines ›Refrischemang‹ bestellen lassen. Als nun der Herzog zur bestimmten Zeit in Teterow anlangte und nach dem Rathhause fuhr, um dort die bestellte Erfrischung einzunehmen, sah er mit Verwunderung sämmtliche Feuerspritzen der Stadt auf dem Markte aufgepflanzt, die alsbald ihre ganze Ladung Wasser über ihn ausschütteten und ihn und seine Begleitung bis auf die Haut durchnäßten; denn so hatten es die gut meinenden Teterower ausgeheckt, dies müßte doch wohl das beste und gründlichste ›Refrischemang‹ sein, welches sie ihrem geliebten Landesvater bieten könnten.

3. Wie sich die Teterower einen großen Hecht aufbewahrten.

Als einst die Fischer einen gewaltigen Hecht von seltener Größe in dem Teterower See gefangen hatten, berathschlagten Rath und Bürgerschaft, wozu man diesen herrlichen Fisch am besten und würdigsten verwenden könne. Nach vielem Grübeln und Hin- und Herreden, kam man endlich dahin überein, ihn bis zum Königsschusse aufzuheben und dann zu verspeisen. Da diese Festlichkeit aber erst nach einiger Zeit stattfinden sollte und der Hecht bis dahin nicht außer Wasser bleiben konnte, so beschloß man, ihm eine Klingel umzuhängen und dann ruhig wieder in den See zu setzen, da man ja, wenn er gebraucht werden solle, ihn nun immer leicht wieder fangen könne. Gesagt, gethan; dem großen Hechte wurde also eine Schelle umgehängt und er nun wieder in den See gethan. Aus [348] größerer Vorsicht schnitt man überdies auch noch an der Stelle ein Zeichen in den Kahn, wo er in das Wasser gelassen worden war. Bis jetzt aber haben die Teterower ihren schönen Hecht noch immer nicht wieder finden können und vergebens nach seiner Klingel gehorcht, die er, wie Viele meinen und es auch wahrscheinlich ist, sich wohl sofort von seinem glatten Körper abgestreift haben wird. Auch das eingeschnittene Merkmal am Kahn hat sich als unprobat erwiesen.

4. Wie die Teterower einen Stein aus dem Brunnen herausholen.

Die Teterower ließen einmal einen tiefen Brunnen gründlich reinigen, wozu sie sich von weit her einen berühmten Pumpenmeister verschrieben hatten. Als dieser seine Arbeit glücklich beendigt hatte und bereits sammt all' seinen Geräthschaften wieder abgereist war, fiel unglücklicherweise ein Stein in den Brunnen und es entstand nun die große Frage, wie er wieder herauszuschaffen sei. Da man keine so langen Leitern besaß und überhaupt alle sonstigen Instrumente fehlten, um in die Tiefe zu gelangen, so kam man endlich überein, eine lange lebende Kette zu bilden. Einer faßte also oben an, ein Zweiter an dessen Füßen und so fort, bis man den Grund des Brunnens erreichte. Weil aber die Kante der Brüstung sehr scharf war, so wurde dem Obersten das Halten bald über. Er wollte einmal in die Hände spucken und rief deshalb seinen unter ihm hangenden Kameraden zu ›Hollt mal orndlich fast, Jungens, ik will mi blot mal in de Hänn' spig'n!‹ Damit ließ er los, und plumps! lag der ganze Haufen in der Tiefe des Brunnens und krabbelte dort im Wasser umher. Wie es sonst abgegangen und wie der Stein und die Menschen wieder herausgekommen, meldet die Sage nicht, aber das Loslassen ist seitdem verboten worden.

5. Wie die Teterower ihre Kirche weiter gerückt haben.

Früher stand die Kirche zu Teterow mitten auf dem Markte, gerade vor der Straße, die vom Rostocker zum Malchiner Thor führt. Warum man sie gerade dorthin gebaut, weiß man nicht; aber sie stand nun einmal da, und stand den Teterowern im Wege, deshalb beschloß man, sie nach einer andern Stelle zu schaffen. Aber [349] wie dies anfangen? es wurde viel hin und her gerathen, der Eine rieth dies, der Andere das; so meinte z.B. Jemand, man solle sie abbrechen und nebenan wieder aufbauen, aber das schien doch den Meisten zu kostspielig und zu närrisch. Endlich trat Einer auf und schlug vor, die Kirche auf Walzen zu stellen und dann weiter zu rollen. Dieser Vorschlag fand allgemeinen Anklang und wurde deshalb zum Beschluß erhoben. Am nächsten Tage schon ging es frisch ans Werk. Man schlug an jedem Ende der Kirche zwei Löcher durch das Fundament, steckte Walzen hindurch und hackte dann die ganze Ringmauer rundum los. Als dies Alles glücklich vollbracht war, wurde ein Tag zur feierlichen Fortrückung anberaumt. Der Küster, ein alter invalider Kriegsmann, sollte den umgelegten Strick vorne ziehen und der ganze Magistrat wollte selbst Hand anlegen und nachschieben. Allen sonstigen Einwohnern der Stadt, Groß und Klein aber wurde es bei Todesstrafe verboten, hierbei zu erscheinen, damit nicht beim etwaigen Umwurf der Kirche Jemand zu Schaden kommen könne. So war denn Alles in Ordnung und es hieß nun ›Angefaßt!‹ Da aber schrie der Küster ›Halt!‹ und rief, er wisse nicht, wie weit die Kirche solle. Daran hatten sie wirklich noch nicht gedacht. Der Bürgermeister aber zog schnell seinen Rock aus, warf ihn vor der Kirche auf die Erde und sprach ›So, just bis hier über den Kragen weg.‹ Der Küster aber gedachte des schönen Bürgermeisterrockes und seines schäbigen, und wie es doch jammerschade sei, ersteren unter der Kirche verkommen zu lassen; darum trug er, während der Bürgermeister zurück an seinen Ort ging, eilig das Röcklein heim, war mit einem Satze wieder da und rief ›Nun zu!‹ Ein Ruck und noch einer, da schrie der Küster ›Halt! wir sind schon darüber weg!‹ Er meinte, über den Rinnstein, der Bürgermeister aber dachte über den Kragen und über seinen schönen Rock. Der Küster half ihm auch nicht aus seinem Irrthum und sprach überhaupt nicht davon, daher denn zu Teterow die Rede aufkam ›Uns' Kirch steit uppen Burmeister sin'n Rock.‹

6. Der kluge Thorschreiber von Teterow.

Ein früherer Thorschreiber Teterows, der sich immer ärgerte, wenn er des Morgens früh durch die Kuhheerde in seiner Ruhe [350] gestört wurde, um ihr den Thorbaum zu öffnen, kam auf den schlauen Einfall, statt mit einem Holzknittel, von nun an das Thor mit einer gelben Wurzel zuzustecken, damit sich die Kühe nach diesem selbst den Thorbaum öffnen sollten. Und wirklich, dies Mittel war ausgezeichnet; denn als am nächsten Morgen die Heerde kam, lief gleich die vorderste Kuh auf die Wurzel zu, riß sie gierig heraus und verschlang sie, und öffnete somit, wie es sich der kluge Thorschreiber ausgetiftelt, den Baum.

7.

Ein in einem Teterower Gasthause eingekehrter Fremder fragt den Hausknecht, ob er ihm nicht ein Teterow'sches Stückchen vormachen könne. Der Hausknecht, der nicht auf den Kopf gefallen ist, erwidert ganz trocken: er wolle sich die Sache einmal beschlafen. Am nächsten Morgen, als der Reisende gerne zum Aufstehen ein paar Pantoffeln haben will, die ihm aber gut passen müßten, bringt ihm der Hausknecht ein Paar aus seinen – des verdutzten Fremden – schönen, neuen Stiefeln geschnittene Pantoffeln und die Schäfte davon vors Bett.


Niederh. 4, 142 ff.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 476. Teterower Geschichtchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-EEBF-B