94. Unterirdische im Galgenberge.

In der Beguinenstraße zu Alt-Strelitz lag vor Zeiten eine Herberge. Der Herbergsvater, welcher Fitzner hieß, hatte mehrere Kühe, die er gut fütterte und die deshalb reichlich Milch gaben. An einem Decembermorgen, als es noch dunkel war, kam auch eine [87] kleine, nur ein paar Spannen hohe Frau mit einem niedlichen Messingtöpfchen zu ihm in die Gaststube und forderte einen halben Pott Milch. Der Messingtopf der kleinen unterirdischen Frau – denn eine solche war sie – wurde, weil die Milch noch nicht da war, vorläufig zu den übrigen Geschirren der wartenden Milchkunden auf den Tisch gesetzt, um nachher, der Reihenfolge nach, ebenfalls gefüllt zu werden. Bevor aber das kleine Weib abgefertigt war, huschte ein noch kleineres Mädchen als sie selbst in die Stube und rief mit feiner Stimme ›Mutter, komm geschwind nach Hause, Brüderchen ist gleich todt.‹ Eilig drehte sich die Gerufene um, und lief mit ihrer Tochter hastig von dannen. Draußen auf der Straße war es indessen schon hell geworden und es gingen die Kinder zur Schule. Als diese nun die beiden kleinen Wesen erblickten, liefen sie hinter ihnen her und verfolgten sie durch das Neubrandenburger Thor bis zum Galgenberg, wo sie verschwanden. Das bei der Frau Fitzner zurückgelassene zierliche Messingtöpfchen wurde nicht wieder abgeholt und noch viele Jahre hindurch in der Herberge einkehrenden Gästen als etwas Rares gezeigt.


Niederh. 4, 63 f.; vgl. Müllenhoff S. 291.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 94. Unterirdische im Galgenberge. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-EFE7-7