601. Stein mit Fußspuren.

1.

An der südlichen Seite der Sternberger Kirche, nahe der Haupteingangspforte und der heiligen Blutskapelle, befindet sich in der äußern Kirchenmauer, nicht hoch über der Erde ein viereckiger Granitstein eingefügt, auf dem sich ein paar Vertiefungen befinden, nicht ganz unähnlich den Eindrücken zweier sehr großer nackter menschlicher Füße.

Von diesem Stein wird Folgendes erzählt. Um das Jahr 1492 kam ein in Sternberg lebender Jude durch Vermittlung eines pflichtvergessenen Priesters in den Besitz zweier geweihten Oblaten. Die Juden machten sich ein Vergnügen daraus, bei einem Feste die auf einen Tisch gelegten Oblaten mit Nadeln zu durchstechen. Aber o Wunder! es quollen Blutstropfen aus den Oblaten. Darüber erschreckt, befahl der Jude dem bei ihm dienenden christlichen Mädchen, die in ein Tuch gewickelten Oblaten vor das Thor zu tragen und in den Mühlbach zu werfen. Kaum hat das Mädchen das Mühlenthor erreicht, als sie nicht weiter kann; sie steht wie festgebannt, es ist ihr, als wenn sie in das Steinpflaster versinke. Sie strebt vorwärts zu kommen, aber sie kann nicht; wohl aber kann sie rückwärts. Sie wankt nach Hause und sinkt todt vor der Thür ihres Dienstherrn zusammen. Am andern Morgen fand man vor dem Mühlenthore auf einem dort liegenden Steine die Spuren zweier menschlicher Füße eingedrückt.

Die Oblaten werden in der eigens dazu erbauten heiligen Blutkapelle aufbewahrt; dort befand sich auch der Tisch, auf welchem die Juden dieselben durchbohrt hatten, mit der Inschrift ›Dit is de tafel, dar de joden dat hilligt sacrament up gesteken und gemartelet hefft tom Sternberge in jare 1492.‹ Von den Juden aber wurden siebenundzwanzig auf dem Judenberge verbrannt.

Niederh. 2, 141-156 in sehr ausführlicher Darstellung.

[428] 2.

Wie nun Eleazar was Uebernatürliches bey diesen Hostien vernommen, so sagt man, daß er mit Rath und Vorwissen der andern Juden, so hierum gewußt, seinem Weibe befohlen, die blutigen Hostien zu verbrennen, welches sie auch in einem glühenden Ofen thun wollen, sie sey aber mit ihren Füßen in einen großen Feldsteyn gesuncken. Michael Gutzner (Pastor 1602-1637) hat diese Relation vom Feuer als wahr angenommen, die andere aber vom Wasser erzählet er also, daß die Hostien in dem Fluß nicht bleiben wollen, sondern seyn dem Weibe wieder in die Schürtze gekommen, wobey er dennoch an dem Einsincken zweiffelt. Indessen ist der Stein, worein sie solte gesuncken seyn, noch jetzo vorhanden und ist in der Kirchen-Mauer (zu Sternberg) an der Südenseite bey der großen Thür (neben der Heil. Bluts-Kapelle) festgemacht. Man siehet zwar darinnen zwei Fußtapffen, aber es giebet auch der Augenschein, daß sie eingehauen sind. In der Urgicht der Juden ist nichts davon enthalten.


Aus einer Chronik des 18. Jahrhunderts im Archiv zu Schwerin durch Lisch mitgetheilt. Der Stein ist noch vorhanden.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 601. Stein mit Fußspuren. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-F76E-5