318. Bauernhochzeit in der Umgegend von Saulgau.
In Bogenweiler herrscht vielfach die Sitte, daß ein Mädchen dem Bauern, der den Hof übernimmt, »angetragen« wird. Hat er nicht schon seine Wahl getroffen und ist ihm die Partie im Uebrigen angenehm, so wird das Mädchen zum »bsẽə« eingeladen. Es kommt nun alsbald mit ihrem Vater und ihrer Mutter. Da wird nun im Hause Alles gezeigt, hernach jedes Stück Feld. Die Summe bezüglich der Uebernahme des Gutes wird nur im Allgemeinen angegeben, ebenso die Mitgift. Nach drei Tagen schon erhält der junge Bauer eine bestimmte Antwort, entweder bejahender oder verneinender Art. Ist Ersteres der Fall, so wird alsbald zum Heiratstag geschritten. Die nächsten Verwandten von beiden Seiten werden hiezu eingeladen und besprechen vor der amtlichen Verhandlung die einzelnen Punkte des zu errichtenden Vertrages. Dann erst geht's auf das Rathaus, wo der Notar unter Beiziehung des Gemeinderates den besprochenen Vertrag niederschreibt. Ist dies vorüber, so vereinigen sich die Brautleute mit ihren Verwandten im Wirtshaus.
Ein paar Tage vor der Hochzeit wird das »Brautfuder« [335] abgeholt. Fuhrmann, Pferde und Wagen sind mit farbigen Bändern verziert. Der Bräutigam selbst fährt in einem Chaischen hinten nach. Ist der Brautwagen geladen, so setzen sich der Schreiner und die Nähterin darauf; leztere hat eine »angelegte« Kunkel, mit einem farbigen Bande umschlungen, in der Hand. Die »Breche« fehlt auf keinem Wagen einer Braut. Der Brautwagen sezt sich nun in Bewegung und alsbald kommt der Bräutigam mit seiner Braut nach. Jezt geht das sog. »Vorspannen« der Schuljugend an. Je zwei Kinder haben ein Seil in der Hand und stellen sich vor dem Gefährte auf, und so die ganze Schaar. Jedes Kind wird mit einem kleinen Stücke Geld beschenkt. Eben so geht's zu, wenn die Brautleute in den Ort des Bräutigams fahren. Geschossen wird beim Abgang und bei der Ankunft des Brautwagens. Die Braut wird am gleichen Tage in ihr Elternhaus wieder zurückgeführt.
Das Einsegnen der Brautbette geschieht am Tage vor der Hochzeit. Böllersalven künden den Tag der Hochzeit an, wie denn in Oberschwaben beinahe bei allen Festlichkeiten geschossen wird. Der Hochzeittag, welchen ich nunmehr zu beschreiben versuchen werde, bezieht sich auf die Vermählung des Johann Georg Halder von Bogenweiler und der Maria Anna Wetzel von Eggartsweiler. Die Hochzeit selbst fand im August 1847 statt.
Achtzehn junge ledige Bursche, meistens lauter Kameraden des Bräutigams, holten die Braut morgens früh zu Pferd mit einer Musikbande in Eggartsweiler zur Kirche nach Saulgau ab. Alle kleideten sich festlich, Jeder war mit einem grauen Mantel angethan und mit einem großen, runden Hut versehen, geschmückt mit einem Band. Große runde Hüte werden heutzutage in der Gegend von Saulgau insgemein [336] »Bogenweiler« genannt. Früh schon ging's dem Orte der Braut zu. Dort angekommen, wird von den Musikanten ein Stück »aufgemacht«, hernach die Gäule in den Stall gethan. Die junge Mannschaft begab sich mit der Musik in der Braut Haus, wo ihnen aufgetragen wurde, was Küche und Keller vermochte. Nach einiger Zeit machte sich die ganze Gesellschaft reisefertig und stellte sich im Hofe in Reih und Glied mit ihrer Musik auf, gerade der Hausthüre gegenüber. Die Musik begann mit einem Stücke; am Ende desselben galoppirte der Sprecher von seinen Kameraden beiseits und postirte sich alsdann in einiger Entfernung vor der Hausthüre auf. Unter der Hausthüre stund die Braut reisefertig, und um sie herum alle die Personen, welche im nachfolgenden Spruch, der vom Sprecher mit lauter und deutlicher Stimme vorgetragen wurde, angeführt sind. Der Spruch aber lautet folgendermaßen:
Gelobt sei Jesus Christus!
Der Hochzeiter Johann Georg Halder hat uns junge Bursche, seine Kameraden, hieher geschickt, wir möchten seine geliebte Jungfer Braut aus ihres Vaters Hause ausfordern. Ich hoffe, die Gemeinde Eggartsweiler werde sie aus ihrer Mitte im Frieden abziehen lassen, wie auch die Gemeinde Bogenweiler sie mit Freuden in ihren Schooß aufnehmen wird. Möge die geliebte Jungfer Braut aus ihrem elterlichen Hause austreten und unserer freundnachbarlichen Einladung folgen. (Nun tritt die Braut in den Hof heraus.)
Mag auch der Abschied aus dem elterlichen Hause, mag auch das Scheiden aus dieser lieben Gemeinde der Scheidenden schwer fallen, ihr Schmerz wird sich in Freuden, in lang dauernde Freuden verwandeln, da wir sie dem zuführen, [337] mit welchem sie sich am heiligen Altare zu ewiger Liebe und Treue verbinden will. Ihr jetziger Schmerz wird sich in Freude verwandeln, da wir die Scheidende in eine Gemeinde einführen, welche sie mit Liebe und Wohlwollen als eine der Ihrigen aufnehmen wird, deren Mitglieder sich bestreben werden, ihr freudige und glückliche Tage zu bereiten.
Darum, geliebte Jungfrau, vertraue dich unserem Geleite an, die wir dich dem Ziele deiner Wünsche entgegenführen wollen. Bevor du aber den heimatlichen Herd verlässest – blicke an, wen du verlässest, von wem du Abschied nimmst, und lasse den Gefühlen, die jezt deine Brust bewegen, ihren ungehinderten Lauf!
Siehe da deine Mutter! sage ihr ein herzliches Lebewol und erstatte ihr jezt öffentlich deinen kindlichen Dank für ihre liebevolle Sorgfalt, mit der sie dich beschüzt von der Wiege an bis zur gegenwärtigen Stunde. Vergiß sie nie in deinem Gebet!
Siehe da deine Geschwister! reiche ihnen die schwesterliche Hand zu einem herzlichen Lebewol; erinnere dich oft der kindlichen Freuden, die ihr im vertraulichen Kreise genossen, und bewahre ihnen alle deine Schwesterliebe!
Siehe noch einmal an dein elterliches Haus, in dem du geboren, in dem du die fröhlichen Tage deiner Kindheit in sorgloser Ruhe verlebtest, in welchem tausend Freuden dir zu Theil wurden; ja blicke sie noch einmal an, die liebe Heimat, und die Erinnerung an das Haus deiner Jugend möge immer dich begleiten!
Und wenn du deinen Blick auf all denen, die heute zu deinem Abschied versammelt sind, ruhen lässest, so wirst du unter ihnen lauter liebe Gemeindeglieder, gute Nachbarn und treue, aufrichtige Gespielinnen deiner Jugend finden. [338] Sie freuen sich deines Glückes und wollen ihre Anhänglichkeit auch noch in der Abschiedsstunde beweisen.
Darum rufe ihnen Allen ein herzliches Lebewohl zu, insbesondere deinen Jugendfreundinnen, mit denen du die schönsten Jahre deines Lebens erlebt, mit denen du in jugendlicher Heiterkeit und schuldlosem Frohsinn die Stunden deiner Erholung zubrachtest; ihre Liebe wird dich auch in deine neue Heimat begleiten.
Aber undankbar wäre es, wenn du, geliebte Jungfer Braut, nicht auch derer gedenken würdest, die bemüht waren, deinen Geist auszubilden, dich zu einem vernünftigen und tugendhaften Mitgliede dieser Gemeinde zu machen. Darum bringe aufrichtigen, kindlichen Dank dar dem hochwürdigen Seelsorger dieser Gemeinde, und beweise diesem deinen Dank durch ein treues Befolgen seiner Lehren; bringe herzlichen Dank dar deinem Lehrer, der unter Schweiß und Mühe in dich die ersten Keime deiner Bildung legte. Ja, reiche Allen deine Hand zum Danke, von denen du leibliche oder geistige Wohlthaten erhalten hast.
Aber, geliebte Braut, wie im Leben auf Freud gar bald Leid folgt, ja, wie in unsere Freuden sich Leiden mischen, so mußt auch du dieses an deinem Freudentage erfahren. Aus der Mitte dieser Fröhlichen muß ich dich hinführen in die stillen Räume eures Gottesackers, hin zum Grabe deines geliebten Vaters. Schon geraume Zeit ruht er in der kühlen Erde; er ist euch vorausgegangen in die Wohnungen des Friedens, und vom Himmel herab wird er den Bund segnen, den du zu schließen gesonnen bist. An seinem Grabe aber erinnere dich all' der Liebe, die er dir erwiesen, lasse Thränen des Dankes auf sein Grab fließen und vergiß seiner nicht in deinem Gebete!
[339] Doch – was sollen die Thränen am heutigen Freudentage! Geliebte Jungfer Braut, reiche mir deine Hand, folge unserem Geleite, wir wollen dich hinführen zum hl. Altare, wollen Zeugen sein, wenn ihr, geliebte Brautleute, Johann Georg Halder und Maria Anna Wetzel, euch vereinigt zum hl. Bande der Ehe, zur Vereinigung in Leiden und Freuden bis zum Tode. Euch begleite der Segen des dreieinigen Gottes, das Gebet und die frommen Wünsche aller hier Anwesenden, und nie möge Gottes Segen von euch weichen, er möge bleiben bei uns Allen, damit wir in Liebe vereint uns einst drüben im Lande des ewigen Friedens wieder finden mögen.
So besteige nun, geliebte Jungfer Braut, das Gefährt, das dich zur neuen Heimat führen soll, und wir Alle wollen einstimmen in den Freudenruf: »Unser geliebtes Brautpaar lebe hoch!«
Nun sezt sich der Zug unter Hurrah und unter dem Schall der Musikinstrumente in Bewegung. Alle Bauern der Gemeinde und die Verwandten der Braut in der Nähe schließen sich mit ihren Gefährten an, 30 bis 40 an der Zahl, und so ging's Saulgau zu. Vor dem Storchen daselbst wurde Halt gemacht, die Reiter stellten sich wiederum in Reih und Glied auf und übergaben dem Bräutigam, der unterdessen im Wirtshause wartete, die Braut. Den Bräutigam seinerseits hatten die Bauern seiner Gemeinde und seine nächsten Verwandten in Wägelchen bis in die Stadt begleitet. Jezt fand im Wirtshause die Morgensuppe statt. Alles war zechfrei; an Speis und Trank durfte nicht gespart werden. Im Hause beider Brautleute gab man der Schuljugend und wer sonst noch kam, Kaffee mit Weißbrod zur Genüge.
Nach eingenommenem Imbiß begab sich der ganze ansehnliche Zug zu Fuß, die Musik voran, in die Kirche, allwo [340] die Trauung nach dem Hochzeitamt stattfand. Als dies vorbei war, begab sich wiederum der ganze Zug in das Wirtshaus zurück, wo die Morgensuppe gehalten wurde, und abermals ging's wieder an's Essen und Trinken. Diesmal fand die Hochzeit in Bolstern statt. Deßhalb begab sich der Zug um die Mittagszeit dorthin; voran die 18 Reiter mit ihrer Musik, dann das Brautpaar, hernach die Begleiter in Wägelchen. Den Abgang in Saulgau und die Ankunft in Bolstern verkündeten Böllersalven. – Im Wirtshaus ging's zuerst auf den Tanzsaal. Der Sprecher bei die ser Hochzeit, der jetzige Wirt Fiegle in Bogenweiler, hatte die Ehre, mit der Braut den Vortanz zu thun; hernach konnte tanzen, wer Lust dazu hatte. – Dann fand das Hochzeitmahl selbst statt, das in diesem Falle 1 fl. 3 kr. kostete. Jeder männliche Gast war mit einer schwarzen Zipfelkappe bekleidet, die den ganzen Nachmittag nicht von seinem Kopfe kam. – Die Brautleute hatten's an ihrem Ehrentage unruhig: jeden ankommenden Gast hatten sie zu begrüßen, jeden abgehenden zu begleiten und zu verabschieden. Dieser gab dem Bräutigam oder der Braut ein Geldstück in die Hand, vom Zwölfer aufwärts bis zum Kronenthaler. Das Brautpaar erhielt über 50 Gulden. Das heißt man »gåbə«. Abends stellten sich die Ledigen beiderlei Geschlechts ein, wo dann erst recht getanzt wurde. Die Brautleute begaben sich um 12 Uhr Nachts nach Hause.