441. Von den armen Seelen.
Riedlinger Gegend.
Für die armen Seelen thut der Schwabe viel, indem er wohl weiß, daß dem, der Andern nicht helfen mag, auch keine Hilfe zu Theil wird. Er gedenkt ihrer so oft er betet, und läuft ihnen viele Meilen weit zu lieb an Gnadenorte. Es gibt auch eigens Weiber, die gegen die Unkosten Wallfahrten für Andere machen, fast ausschließlich geht man von Oberschwaben nach Einsiedeln. Es gibt wohl wenige rüstige Leute, die in ihrem Leben nicht wenigstens einmal in Einsiedeln gewesen wären. Die Poesie wie der hie und da vorkommende Unfug dieser Wallerzüge haben durch die Eisenbahnen und Dampfschiffe wesentliche Einbuße erlitten. Nur wie ein Märchen klingen heutzutage die abenteuerlichen Erzählungen von den gefahrvollen Fahrten über das schwäbische Meer in »der guten alten Zeit« – von der Arbeit und Todesangst, dem Beten und Fluchen, der stummen Verzweiflung und der übermenschlichen Anstrengung gegen die in's Schiffchen strömende Flut – mit Stiefeln und Regendach! Wie die armen Seelen dankbar sind, wenn man ihnen zu lieb etwas betet, und [282] wie sie den Bettpisser pünktlich vor der Katastrophe wecken, so nehmen sie Beleidigungen groß übel und hat einmal ein Mann, der ihrer wenig erbaulich gedacht, am hellen Tag eine »Humse« aus heiterer Luft erhalten. Knechten und Mägden, die ihrer Pflicht gar zu saumselig nachkommen, ist schon dann und wann in Scheuer und Stall von Seiten des verstorbenen Bauers ähnliches begegnet. Denn der Bauer schaut wegen seiner Kinder nach seinem Sach. Doch nehmen Viele an, daß die armen Seelen am Orte ihrer früheren Thätigkeit die Strafe absitzen müssen, und daß es daher komme, wenn man zu Zeiten von unsichtbaren Wesen innerhalb der Hofraite Seufzer vernommen. Fast in allen Wallfahrtskapellen befinden sich an einem Gitter ein Leinwandtäschchen, in welchen sich gedruckte Zettel befinden, auf denen verschiedenes zu beten, dem »Wundervizigen«, der hineingreift, aufgegeben wird. Diese Vaterunser oder Stationen kommen den armen Seelen zu gut.